Gabriele Weingartner über ihren Roman Die Hunde im Souterrain
Gabriele Weingartners Roman Die Hunde im Souterrain gibt seine Geheimnisse erst nach und nach preis – über den Schaffensprozess und die Beziehung der Schöpferin zu Schauplätzen, Figuren und Verwicklungen hat Merle Rüdisser die Autorin befragt.
Liebe Gabriele, wie lange, wie intensiv, wie überhaupt hast du an Die Hunde im Souterrain gearbeitet?
Ganz kurze Antwort: zwei Jahre lang sehr intensiv, täglich mindestens vier Stunden oder länger schreibend. Die Recherche davor war dagegen ausgesprochen lustvoll: zwölf Tage mit einem heftig fotografierenden Mann und einem mich trotz unerträglicher Hitze antreibenden Sohn in New York, Cambridge und Boston. Auf die Fotos habe ich dann, wenn mich mein Gedächtnis im Stich zu lassen drohte, immer wieder Bezug nehmen können.
Wie hast du deine Einladung zum Alfred-Döblin-Preis erlebt?
Ich habe mein Manuskript am allerletzten Tag der Bewerbungsfrist abgegeben, am 30. Januar 2013, wozu ich bei Schnee und Glatteis von Wilmersdorf ins Literarische Colloquium an den Wannsee fuhr und die Sache praktisch schon auf der Heimfahrt tunlichst vergaß. Umso größer war dann die Überraschung, als irgendwann im März die Mail hereinflatterte, dass ich mich unter den sechs Finalisten befände. Ausgewählt aus über 400 Bewerbern! Saša Stanišić hat ja dann den Preis gewonnen, ein wunderbarer Preisträger. Es war auch ein wunderbarer Tag am Wannsee. Schade, dass Günter Grass nicht kommen konnte. Auf ihn hätte ich mich gefreut und mich vielleicht auch ein bisschen vor seiner bekanntlich sehr zupackenden Kritik gefürchtet.
Wie vertraut ist dir das beschriebene Milieu – die Freie Universität im Berlin der Siebziger, die amerikanischen Wissenschaftler und ihre Riten wie die Luncheons, New York oder Boston?
Das ist eine listige Frage, weil sie suggeriert, dass es sich bei meinem Roman womöglich um Autobiografisches handelt. Tatsache ist, dass ich in Berlin an der FU studiert habe und mich in den frühen Siebzigern zwei Jahre in Amerika aufhielt, das heißt, an der Ostküste und immer mal wie-der in New York. Ich kenne also die Studentenunruhen, die Demonstrationen, die ewigen und fruchtlosen Diskussionen in den Vollversammlungen der FU, das nicht selten totalitäre Gehabe der Studentenführer, wobei ich mich – wahrscheinlich aus reiner Feigheit – nie an vorderster Front befand. Aber ich weiß auch, wie es in den Elfenbeintürmen der Wissenschaft zuging und wie eng die Luft dort werden kann. Und – ich will es nicht leugnen – auch die einzigartige, so intime wie offene Atmosphäre an einer Ivy-League-Uni ist mir nicht unbekannt. Was nicht heißt, dass Felice mein Alter Ego ist, wie sie allerdings hatte auch ich nur den Blick von außen. Autoren pflegen ihre Romane mit den guten oder schlechten Versatzstücken ihres Lebens zu möblieren; ich kenne keine Kollegen, die dies anders hinkriegen. Das macht den Reiz von Literatur aus, dass irgendwie alles erlebt und erlitten ist.
Glaubst du, Ulrich hätte einen Punkt im Leben gehabt, an dem er anders abzweigen hätte können, damit der Weg nicht in die Katastrophe führt?
Es kommt ja immer darauf an, was man unter Katastrophe versteht. Es gibt kein richtiges Leben im falschen, das jedenfalls hat Adorno in seinen Minima Moralia behauptet. Da war der Philosoph allerdings schon nach Amerika emigriert und sicher vor den Nazis. Was ich sagen will: Vom sicheren Port aus gegebene Ratschläge sind wohlfeil. Da man aber in Romanen spekulieren darf: Nein, ich glaube nicht, dass es einen
Notausgang für Ulrich gegeben hätte. Er gehörte einer vom Krieg belasteten Generation an, die zwar im Nachkriegsdeutschland reüssierte, deren hochgradige Versehrtheit jedoch nicht zu heilen war, auch wenn man sich – wie Ulrich – einer Psychoanalyse unterzog, die ihn – in den Siebzigern noch nach klassisch-rigiden Methoden ausgerichtet – eher zerrüttete als stabilisierte. Nein, mit „Hunden im Souterrain“ konnte man in jenen Jahren schlecht existieren. Selbst wenn man sich mit den Werken von Thomas Mann und der von Kindheit an eingeübten Ironie einige Zeit über Wasser halten konnte.
Vermisst du etwas an den Siebzigern – glaubst du, die 2010er-Jahre könnten von den 1970ern etwas lernen?
Ach, ich weiß nicht. Man kann schwerlich etwas aus früheren Zeiten vermissen, weil man ja in der Zwischenzeit älter und klüger wurde und weiß, wie viel Selbstbetrug hinter nostalgischen Gefühlen steckt. Erstaunlich ist höchstens, im Nachhinein betrachtet, wie wenig frei die siebziger Jahre in Wirklichkeit waren, welch tiefe ideologische Verwirrung herrschte, wie ratlos man zum Beispiel – trotz der vermeintlichen sexuellen Befreiung – mit seinem eigenen Körper und dessen Bedürfnissen umging. Gravierend war auf jeden Fall die Starrheit des Kalten Krieges, die man ertrug ohne die Hoffnung, dass es jemals anders werden könnte. Darauf bauten die Sandkastenspiele der Politikberater und Wissenschaftler auf, mit denen Ulrich verkehrt. Es ist wirklich erstaunlich, wie wenig sie alle mit der weiteren Entwicklung rechneten.
Vielen Dank für das Gespräch.
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Gabriele Weingartner war mit ihrem Romanmanuskript Die Hunde im Souterrain zum finalen Wettlesen um den Alfred-Döblin-Preis 2013 eingeladen.