Constantin Göttfert im Gespräch über seinen Roman Duffeks Hände
Fangen wir am Anfang an: Wie ist es dazu gekommen, dass du einen Roman über die Erntearbeiter und -arbeiterinnen im Marchfeld geschrieben hast? Warum dieses Thema?
Jedes Erzählen beginnt zunächst mit einem Staunen. Man sieht, hört, spürt etwas, das einem die Sprache verschlägt. Will man nicht ersticken, muss man sie aber wiederfinden. Wäre ich ein schlagfertiger Mensch, hätte es womöglich oft ausgereicht, einer provokanten Aussage etwas Kluges zu entgegnen. Leider fällt mir dieses Kluge aber nicht gleich ein. Ich muss danach suchen und finde es am nächsten Tag beim Frühstück neben dem Toastbrot. Da ist das Gegenüber von gestern aber längst nicht mehr im Raum, sondern hängt anderen Gedanken nach, versprüht andere Ungeheuerlichkeiten. Was mache ich also? Ich schreibe. Da habe ich Zeit, um nachzudenken.
Diese Erntemaschinen, die ich als Kind gesehen habe und die ich heute noch gelegentlich sehe, erscheinen wie Ungeheuer, die aus einer anderen, düsteren Welt zu uns gekommen sind. Es ist aber wichtig, zu erkennen, dass sie keine Ungeheuer sind. Sie wurden geschaffen. Und es liegen Menschen darin. Diese Menschen arbeiten. Sie zerstechen sich die Hände an den Stängeln, weil sie keine Handschuhe haben.
Wenn ich darüber nachdenke, warum ich diesen Roman geschrieben habe, fällt mir ein ganz konkretes Ereignis ein, genauer gesagt: eine konkrete Figur, nämlich die damalige Sozialministerin. Sie richtete 2019 im Parlament die provokante Frage ins Plenum, wer (oder was) es denn sei, der (oder das) die Arbeit in Österreich schaffe. Und gab sich gleich selbst die Antwort: Die Wirtschaft sei das; die Wirtschaft schaffe die Arbeit in Österreich, man solle sich das endlich merken. Diese Aussage hat mir zunächst die Sprache verschlagen – und im nächsten Moment dazu geführt, dass ich zu schreiben begonnen habe. Ich bin ihr also zu Dank verpflichtet, sie hat mich inspiriert.
Fühlst du als Autor irgendeine Art von Verpflichtung, was deine Themen angeht? Möchtest du etwas erreichen? Nur zur Unterhaltung der Lesenden schreibst du ja wahrscheinlich nicht, oder?
Es ist nichts Falsches daran, zu unterhalten. Ich tue ja selbst einige Dinge zur Unterhaltung, aber ich schreibe nicht zur Unterhaltung. Zeit ist ein wertvolles Gut, ich möchte sie mir damit nicht vertreiben.
Ich war erstaunt, wie selten die Arbeit der Erntehelfer*innen in der Literatur oder auch im Alltag thematisiert wird. Die Bomber – wie die Erntemaschinen genannt werden – ziehen über die Felder, die Menschen liegen in den Flügeln. Man sieht ihre Füße, die hinten herausragen, ihre Hände, die sich nach unten strecken, aber ihre Gesichter bleiben im Dunkeln. Dabei ist es ein so seltsamer, beunruhigender Anblick: das Stottern des Traktors, die im Wind peitschenden Planen …
Ich schreibe aber nicht, weil etwas zu selten thematisiert wird, sondern ich schreibe, um mir dieses ohnmächtige Staunen, das in der Kehle steckt, vom Hals zu schaffen. Ich versuche, meine Themen ernst zu nehmen. Es wird mir aber nicht gelingen, zu glauben, durch mein Schreiben irgendetwas an üblen Zuständen in der Welt ändern zu können. Zum Glück erwarte ich das auch nicht von mir.
Apropos Bomber, ganz naheliegend: Hast du selbst bei der Ernte geholfen? Kennst du diese Arbeit aus eigener Erfahrung? Ich habe in meinem Umfeld herumgefragt, und tatsächlich haben einige Ü-40-Altersgenossen als Studierende Hopfen oder Gurken geerntet – inzwischen scheint das aber als Sommerjob nicht mehr attraktiv zu sein.
Der Stammbaum meiner Familie wurzelt tief in der Landwirtschaft. Dieses Erbe hat mein Vater als zweijähriges Flüchtlingskind mit nach Österreich genommen und auch uns Kindern übergestreift. Obwohl er einen ganz anderen Beruf ergriffen hat, glaube ich, er wäre am liebsten auch ein Bauer gewesen wie jeder seiner Vorfahren. Er wollte auch, dass seine Kinder bäuerliche Handgriffe ausüben; das hat er immer gern gesehen. Es machte ihn glücklich, zu denken, dass seine Kinder an einem Samstagvormittag lieber Mistgabeln in den Händen hielten und mit ihm Kartoffeln ausstachen, als mit ihren Klassenkameraden ins Freibad zu gehen.
Die Aufgabe eines schreibenden Menschen ist es sicher, Gedanken und Gefühle seiner Figuren zu rekonstruieren. Vielleicht sollte man aber überhaupt nur von etwas schreiben, was man kennt. Es würde mich übrigens wundern, wenn sich Studierende heutzutage noch als Erntehelfer ein Zubrot verdienen; die Arbeit ist hart und schlecht bezahlt. Es scheint allerdings tatsächlich einen Trend zu geben, körperliche Arbeit als eine Art Selbsterfahrung zu betrachten, eine Reise an die Schmerzgrenzen des eigenen Körpers. Auf diese Weise gelangt ja auch Jonas im Roman an diesen Job.
Lass mich beim Gefühle-Rekonstruieren einhaken, beim Verhältnis zwischen Schreibendem und Figuren. Spannend ist für mich immer die Perspektive, die ein Autor, eine Autorin wählt. Du bleibst nah bei deinen Figuren, erzählst aus ihnen heraus, wendest dich als außenstehende Instanz aber auch an die Lesenden – eine sehr komplexe Herangehensweise also. Wie hat sich das ergeben oder entwickelt?
Ein allwissender Erzähler bietet ja nicht nur die Möglichkeit, Gedanken und Erkenntnisse einer Figur zu vermitteln, sondern auch, diese in die Welt einzuordnen – wobei er manchmal natürlich sicher die Fächer verwechselt. Ich wollte damit eine Erzählstimme schaffen, die – im Wortsinn – gelegentlich provoziert, also eine Reaktion hervorruft.
Es ist eine bewusste Entscheidung, wie man eine Geschichte erzählt. Hängt man einer Figur die Kamera um, bietet das die Möglichkeit, ihre Wahrnehmung der Vorgänge zu zeigen. Man nimmt sie ernst, legt ihr die Hand an die Schulter und sagt: Ich verstehe dich – auch wenn man sie damit vielleicht anlügt. Ich wollte eine sehr präsente Erzählstimme schaffen, die sozusagen über allen und allem schwebt.
Das Wie des Erzählens umfasst neben der Perspektive auch die Sprache: Obwohl die Geschichte hart an der bitteren Realität bleibt, ist deine Sprache hochpoetisch, voller einzigartiger Bilder und versehen mit zarten literarischen Anspielungen. Interessanterweise verschleiert das die hässlichen Umstände nicht, sondern verstärkt eher den Effekt, scheint mir. Wie bist du an die Sprachgestalt und -gestaltung deines Romans herangegangen?
Es ist eine Binsenweisheit, dass ja auch unsere Alltagssprache voller Bilder ist. Auffällig wird es dann, wenn ein Bild plötzlich schief hängt und damit – vielleicht unfreiwillig – komisch wird. In der Politik werden beispielsweise oft »Pakete geschnürt«. Was damit bezeichnet wird, ist, dass Menschen an einem Tisch sitzen und versuchen, sich auf einen Gesetzestext zu einigen. Ich finde die Vorstellung des gemeinsamen Schnürens der Koalitionspartner vergleichsweise hübsch. Da steigt mir sofort der Geruch von Packpapier und Bastschnüren an einem trägen Nachmittag in die Nase; ich erinnere mich an Kindergartentage mit Tante Evi und will sofort für harmlos halten, was sie dort schnüren.
Vor dem Wort »hochpoetisch« habe ich große Ehrfurcht. Ich bezweifle es, erschrecke sogar davor, blicke daran empor, weil ich in seinem Schatten stehe. Vielleicht ist das, was du als hochpoetisch bezeichnest, mein Versuch, hinter solche Bilder zu gelangen..
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch!